Inzwischen muss der 70-Jährige nicht mehr derart vorsichtig sein. Dennoch freut es ihn sehr, dass heuer in Würzburg zum dritten Mal eine alkoholfreie Faschingsprunksitzung für die Region stattfindet. Im Main-Echo-Gespräch erzählt er, warum dies so wichtig ist.
Herr Marold, nachdem Sie seit 15 Jahren trocken sind, gehe ich davon aus, dass jene Zeit, als Sie mit letzter Anstrengung einen Tag alkoholfrei überstanden haben, weit hinter Ihnen liegt. Bedeuten »normale« Faschingsveranstaltungen für Sie noch eine Herausforderung?
Nein, für mich nicht. Aber grundsätzlich muss man sagen, dass eine Faschingsveranstaltung, bei der Alkohol getrunken wird, für einen trockenen Alkoholiker eine Gefährdung darstellen kann. Vor allem für jemanden, der frisch trocken zu werden beginnt. Ich selbst nehme an Faschingsveranstaltungen teil, bei denen Alkohol konsumiert wird, aber ich gehe spätestens um 23 Uhr. Danach fühlt man sich als trockener Alkoholiker einfach nicht mehr zugehörig.
Allein, dass eine alkoholfreie Prunksitzung als etwas sehr Besonderes angesehen wird, macht einem bewusst, dass Fasching unglaublich eng mit dem Thema Alkohol verknüpft ist.
Ja, das eine scheint ohne das andere nicht zu gehen. Wir treten den Gegenbeweis an. Und ich kann Ihnen versichern: Bei uns ist es sogar noch lustiger. Ich persönlich habe, seit ich nicht mehr trinke, an solchen Veranstaltungen viel mehr Freude als früher, weil ich bewusst mitbekomme, was geboten wird. Mein Verstand ist nicht mehr durch Alkohol benebelt. Ich muss allerdings zugeben, dass auch ich bei der ersten alkoholfreien Faschingsprunksitzung 2019 skeptisch war. Dennoch unterstützte ich sie, denn ich war auch neugierig. Es war ein Experiment. Und es gelang!
Es heißt, man muss als ehemals Süchtiger Rückfälle immer als ein Risiko einkalkulieren. Würden Sie sagen, dass die Rückfallgefahr in der Faschingszeit generell hoch ist?
Ja, das ist so. Eine andere Gefahr stellt die Weihnachtszeit dar. Auch da sind trockene Alkoholiker emotional sehr gefordert. Als Leiter der Suchthilfe-Gruppe des Kreuzbundes in Lohr ist es mir wichtig, die Mitglieder auf genau diese Gefährdungen vorzubereiten.
Wie viele Mitglieder gehören Ihrer Gruppe an?
Etwa acht bis zehn im Moment.
Und gab es im letzten Jahr Rückfälle?
Zum Glück gab es in meiner Gruppe keinen Rückfall. Ich weiß aber aus anderen Kreuzbund-Gruppen in Unterfranken, dass es durchaus Rückfälle an Weihnachten oder auch in der letzten Faschingszeit gab.
Manche Menschen sagen, ihnen dreht sich der Magen um, wenn sie nur an Fasching denken. Sie können dem Ganzen überhaupt nichts abgewinnen. Sind Sie selbst denn ein Faschingsfan? Oder eher ein Faschingsmuffel?
Nein, ein Faschingsmuffel bin ich nicht, aber es ist auch nicht so, dass ich ohne Fasching nicht leben könnte. Grundsätzlich lache ich gerne. Ich mag gelungene Sketche und sprachlich geschliffene, kritische, politische Darbietungen. Am liebsten lache ich, wenn andere in einer Runde befreit mitlachen. Dass dies geht, das ist das Wertvolle an einer alkoholfreien Faschingssitzung. Solche Veranstaltungen sind im Übrigen deshalb so wichtig, weil Alkoholismus sehr oft mit einer Depression einhergeht. Bei einer alkoholfreien Faschingsveranstaltung können trockene Alkoholiker aus ihrer tristen Stimmung gerissen werden.
Menschen, die schon zu normalen Zeiten gern einen picheln gehen, werden sich kaum zu einer alkoholfreien Faschingsveranstaltung verirren. Haben Sie das Gefühl, dass zu Ihrer Veranstaltung tatsächlich nur trockene Alkoholiker und ihre Angehörigen kommen?
Nein, gerade beim letzten Mal hatte ich den Eindruck, dass es viel mehr Menschen gibt, als man glaubt, die bei einer Faschingsveranstaltung keinen Alkohol trinken müssen. Das hat mich sehr gefreut. Natürlich kommen Leute, die jeden Abend in die Kneipe gehen, nicht zu einer solchen Veranstaltung. Aber das sind gar nicht so viele. Wenn ich ins Restaurant gehe, glaube ich zu beobachten, dass es heute mehr Menschen als früher gibt, die zum Essen kein Bier und keinen Wein, sondern ein alkoholfreies Getränk bestellen. Und während bei unserer ersten alkoholfreien Prunksitzung 2019 noch einige Tische leer blieben, war die Veranstaltung letztes Jahr wirklich gut besucht.
Was die Veranstaltung selbst anbelangt, könnte man auf den Gedanken kommen, dass trockene Alkoholiker nun eine eigene Prunksitzung sozusagen als Trost bekommen, weil »normale« Faschingsevents für sie zu gefährlich wären.
Nein (lacht), das ist keine Trostveranstaltung, die Prunksitzung wird vom Veranstalter, der Faschingsgesellschaft Dürrbacher Kaviar, genauso gut vorbereitet wie jede andere. Interessant ist übrigens, dass auch ein Mitglied der Kreuzbund-Selbsthilfe, nämlich Werner Müller, mitwirkt. Auch er ist ein trockener Alkoholiker. Er tritt bei Prunksitzungen in Theaterstücken und Sketchen auf. Also nicht nur bei alkoholfreien Sitzungen, sondern auch dort, wo Alkohol konsumiert wird. In dieser Hinsicht ist er in der Szene der Suchtselbsthilfe ein Vorbild.
Kam es denn bisher Ihres Wissens schon zu Verstößen gegen die Alkoholfreiheit, und – falls ja – wie wird denn ein Verstoß geahndet?
Natürlich lässt sich nicht kontrollieren, ob ein Gast unserer alkoholfreien Prunksitzung heimlich auf der Toilette oder auf dem Parkplatz Alkohol konsumiert. Das will aber auch niemand kontrollieren. Ich selbst habe bei den beiden bisherigen Veranstaltungen im Raum keinen einzigen Ausrutscher gesehen. Nachdem ich die Veranstaltung ja unterstütze, unter anderem durch Öffentlichkeitsarbeit, hätten mir andere davon sicher berichtet, wäre dies geschehen. Wenn ein trockener Alkoholiker zu dieser Veranstaltung geht, ist die Motivation, trocken zu bleiben, garantiert sehr hoch. Aber auch Angehörige halten sich ganz offensichtlich daran, dass bei uns kein Alkohol getrunken wird.
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